Vergangene ausstellung

Allora and Calzadilla
A Man Screaming Is Not a Dancing Bear how to Appear Invisible
Haus Esters

Eröffnung: Sonntag 15. März, 11:30 Uhr

Zwei Videoarbeiten von Allora & Calzadilla, zwei weit voneinander entfernte Orte, zwei verschiedene Ereignisse, die mediale Aufmerksamkeit erregt haben:
Am 29. August 2005 verwüstete der Hurrikan Katrina ganze Stadtviertel von New Orleans. Zahlreiche Menschen kamen in den Fluten ums Leben. Ein Großteil der Bevölkerung musste fliehen oder wurde evakuiert. Es kam zu Plünderungen. Bis heute sind nicht alle Anwohner zurückgekehrt. Viertel mit sozialem Wohnungsbau blieben unsaniert. Die Einwohnerzahl wurde bewusst geringer gehalten als zuvor.
Zum Ende des Jahres 2008 haben in Berlin Bagger die letzten Reste des Palasts der Republik, der als Kulturhaus und Sitz der Volkskammer ein zentraler Ort des öffentlichen Lebens zur Zeit der DDR war, niedergerissen. 1950 hatte an gleicher Stelle die sozialistische Regierung ihrerseits das alte, größtenteils aus dem 17./18. Jahrhundert stammende und vom Zweiten Weltkrieg beschädigte Stadtschloss sprengen lassen. 2007 beschlossen der Bundestag und das Land Berlin die Rekonstruktion des Schlossäußeren in Verbindung mit einem neuen Humboldt-Forum.

Veränderungen der politischen Machtverhältnisse in Berlin und unkontrollierbare Naturgewalt in New Orleans haben zu einschneidenden städtebaulichen ‚Korrekturen', zu symbolischer Architekturpolitik, zum Verlust sozialer Identität in der Bevölkerung und zu einer Diskussion geführt, die diesen Ereignissen und Prozessen eine große öffentliche Resonanz verliehen. Dies sind die Hintergründe der beiden Videoarbeiten, die Jennifer Allora (1974 Philadelphia/USA) und Guillermo Calzadilla (1971 Havanna/Cuba) im Museum Haus Esters zeigen: How To Appear Invisible, 2009 (Berlin), die speziell für die Ausstellung in Krefeld entstanden ist, und A Man Screaming Is Not a Dancing Bear, 2008 (New Orleans).
Die beiden auf Puerto Rico lebenden Künstler greifen in ihren Skulpturen, Performances, Soundarbeiten und Videos immer wieder solche komplexen Zusammenhänge auf und ziehen den Betrachter durch faszinierende, atmosphärische ‚Bilder' in unterschiedliche soziale, politische und historische Räume hinein.

In den beiden Videoarbeiten setzten Allora & Calzadilla eine Bildästhetik um, in der sie ein dokumentarisches mit einem cineastischen Format verbinden. Die Aufnahmen zeigen den Ort nach (New Orleans) bzw. während des Geschehens (Berlin). In A Man Screaming Is Not a Dancing Bear schaffen harte Schnittwechsel, schnelle Kamerafahrten und wenige Unschärfen eine eindrucksvolle Erzählung. Der Blick gleitet durch drei unterschiedliche Situationen, die immer wieder abrupt wechseln: eine dicht bewachsene Flusslandschaft, das Innere eines verlassenen Hauses und ein junger Mann draußen vor dem Fenster dieses zerstörten Hauses. Mit Stöcken schlägt er den Rhythmus des ‚Überlebens' auf den Lamellen der Jalousie.
In How To Appear Invisible gleichen die Bagger auf der Baustelle mitten in Berlin deplazierten Monstern, die sich gefräßig durch die Steinreste beißen. Es zeigt sich eine verwüstete ortlose Landschaft in einer sonst mit ihrem Sexappeal spielenden Großstadt. Ein deutscher Schäferhund trägt eine Krause mit dem weltbekannten Markenaufdruck von Kentucky Fried Chicken, einer der größten US-amerikanischen Franchise Systemgastronomien. Er schleicht auf dem Abrissgelände umher. Die kapitalistische Welt mit ihrem Glauben an Mythen, Macht und Symbole scheint auf der Suche nach den Resten einer untergegangenen Utopie zu sein.

Allora & Calzadilla haben die beiden Videoarbeiten auf den Ausstellungsort abgestimmt. Auch Museum Haus Esters in Krefeld ist ein architektonischer Raum, der soziale, funktionale, gesellschaftliche und bauhistorische Wandlungen in sich trägt. Gebaut von einem der bekanntesten Architekten des so genannten Internationalen Stils, Ludwig Mies van der Rohe, war das Haus 1927 als Familienhaus entworfen worden. Seit 1981 finden an diesem Ort Ausstellungen zur zeitgenössischen Kunst statt. Die Räume haben ihren wohnlichen Charakter verloren, sie sind heute ein Hybrid zwischen White Cube und Wohnhaus.

Im Laufe der Ausstellung erscheint ein begleitender Katalog in deutscher und englischer Sprache mit Texten von Carsten Ruhl (Architekturhistoriker), Raimar Stange (Kunstkritiker) und Sylvia Martin (Kunsthistorikerin).