Rossella Biscotti erhielt das 15. Mies van der Rohe Stipendium der Stadt Krefeld. Sie überzeugte die Jury durch ihre Auseinandersetzung mit historischen und architektonischen Fragestellungen und deren Übersetzung in Skulpturen und räumliche Situationen. Mit ihren Installationen, die auf Recherchen, Archivmaterial, Interviews und persönlichen Begegnungen basieren, macht sie gesellschaftliche und politische Themen sinnlich erfahrbar.
Für das Haus Esters entwickelt Biscotti eine ortspezifische Installation, die sich mit der Geschichte der Textilindustrie ebenso auseinandersetzt wie mit den für die Krefelder Seidenfabrikanten Lange und Esters entworfenen Villen von Mies van der Rohe. Den Aufschwung der Textilindustrie begründete im 19. Jahrhundert die Verwendung der sogenannten Jacquard-Webstühle. Sie waren die ersten, die Lochkarten verwendeten, mit denen nahezu beliebig komplizierte Muster gewoben werden konnten. Mit der Einführung des binären Systems aus O und 1 bildet die Lochkarte als frühes mechanisches Speichermedium die Grundarchitektur aller Datenverarbeitung und ebnete damit den Weg zum modernen Computer. Das Lochkartensystem wiederum entwickelte der amerikanische Ingenieur Herman Hollerith Ende des 19. Jahrhunderts weiter, um Bevölkerungsdaten statistisch zu erfassen. An die Geschichte der Textilherstellung und ihren weitreichenden technologischen und gesellschaftlichen Kontext knüpft Biscottis Neuproduktion für die Kunstmuseen Krefeld an. Sie entwickelt eine Installation aus eigens entworfenen und gewebten Stoffen, deren Gestaltung wiederum auf der Nutzung und Umwandlung statistischer Daten basiert. Obwohl haptisch erfahrbar, betont die Arbeit den konzeptuellen Aspekt des Textils. Die Technik des Webens liegt Biscottis Ausstellung leitmotivisch zugrunde - nicht nur als konkrete Produktionsform, sondern auch im Sinne einer inhaltlichen Verbindung verschiedener Narrative, Zeitstränge und struktureller Ebenen.
Rossella Biscotti wurde 1978 in Molfetta, Italien, geboren. Sie hatte Einzelausstellungen unter anderem im CAC, Vilnius (2012), der Wiener Secession (2013) und im WIELS in Brüssel (2014) und nahm an der Manifesta 9 (Genk 2012), der documenta (13) (Kassel 2012) sowie an der Biennale in Venedig (2013) teil. 2010 erhielt Biscotti den Premio Italia Arte Contemporanea. Sie lebt und arbeitet in Brüssel.
Das Mies van der Rohe-Stipendium der Stadt Krefeld wurde 1979 eingerichtet, um junge vielversprechende Künstler zu unterstützen und ihnen mit der Preisverleihung in den renommierten Museen Haus Lange und Esters internationale Aufmerksamkeit zu garantieren. In den Jahren 1982 bis 1996 haben zwölf Künstler das Stipendium erhalten. Seit 2009 wird der renommierte Preis wieder regelmäßig vergeben. Drei auswärtige Kunstexperten schlagen hierfür je zwei Künstler vor. In einem zweiten Schritt entscheidet eine separate fünfköpfige Jury über den Gewinner des Stipendiums.